46°39'52.581"N 6°19'53.218"E - 1'022.7 m
Sie überragt das Dorf Le Pont. Sie ist sonderbar. Sie macht stutzig. Sie hat mehrere Namen: Villa Bunau-Varilla, Herrenhaus Haute-Roche, Morgenvilla, Bergvilla, welche ihr vom örtlichen Architekten Campiotti gegeben wurden.
Im Januar 1911, und im August desselben Jahres machte die Familie Bunau-Varilla im Grand Hôtel du Lac de Joux Urlaub. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Gegend diesen Parisern gefiel und das Familienoberhaupt dann beschloss in Le Pont eine Villa zu bauen.
Die Schritte mit der Administration des Dorfes Le Pont sowie mit der Gemeinde L’Abbaye wurden prompt abgewickelt. Die Villa wurde zwischen 1912 und 1914 gebaut. In dieser Zeit quartierte sich die Familie Bunau-Varilla im Grand Hôtel du Lac de Joux ein, ebenso wie der leitende Architekt Hennebique. Das Gebäude wurde nach dem System dieses Bauunternehmers aus Paris erstellt, indem mit Rundeisen verstärkte Balken, Pfosten und Böden zusammengesetzt und mit Bügeln befestigt wurden.
1922 wurde die Villa mit verschiedenen Fresken, mittelalterlichen oder ländlichen Sinnbildern des französischen Malers Henri Deluermoz (1876–1943) dekoriert, welcher möglicherweise ein Bekannter des Besitzers war. Diese schönen Fresken haben aber durch das lange Leerstehen und die herrschende Feuchtigkeit gelitten.
Die Persönlichkeit des Bauherren der Villa, Maurice Bunau-Varilla, verdient Aufmerksamkeit. Er wurde 1856 geboren und ist am 1. August 1944 gestorben. Der Geschäftsmann und Pressechef hat mit seinem Bruder Philippe eine Gesellschaft zur Wiederaufnahme des Baus des Panamakanals gegründet. Danach investierte er in die Französische Tageszeitung Le Matin, deren Hauptaktionär er wurde. Am 28. Dezember 1899 tat er in den Verwaltungsrat dieser Zeitung ein und wurde am 23. Dezember 1901 dessen Präsident.
Dank einer auf Reklame gestützten Strategie stieg die Auflage von Le Matin von 285‘000 Exemplaren im Jahr 1902 auf 1 Million im 1913. An der Spitze der Zeitung verfolgte Bunau-Varilla eine auf seine persönlichen Interessen abgestützte politische Linie. Radikal und keiner Religion zugehörig, tendierte er in Richtung Nationalismus und Antiparlamentarismus. Sein Layout hob aufreisserische Titel und aggressive Artikel hervor. 1917 erreichte die Zeitung 1,6 Millionen Exemplare. Bunau-Varilla wiedersetzte sich Clémenceau und unterstützte die totalitären Regime, die in Europa aufkamen. Die Verkaufszahlen der Zeitung Le Matin gingen daraufhin auf spektakuläre Weise zurück. Zwischen 1918 und 1939 verringerten sie sich von mehr als einer Million auf 320‘000 Exemplare und zwar ohne dass Bunau-Varilla seine politische Linie änderte. Er griff die Volksfront und die Regierung Daladier an, hiess die rechtsextremen Ligen gut, vor allem das faschistische Italien und bezeugte Hitler nach und nach seine Sympathie.
Nach der Niederlage von Juni 1940 unterstützte Bunau-Varilla die Kollaborationspolitik des Vichy-Regimes. Er verstarb am 1. August 1944. Le Matin stellte seine Herausgabe am 17. August ein. Guy Bunau-Varilla, Sohn und Teilhaber von Maurice Bunau-Varilla, der an der editorialen Politik der Zeitung beteiligt war, wurde im Januar 1946 zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt. Das Haus fiel für kurze Zeit an die Französische Republik, welche mit diesem riesigen Gebäude nichts anzufangen wusste. Es wurde bald an die Organisation für Familienherbergen verkauft, welche es an Privatleute weitergaben, welche heute noch in dessen Besitzt sind.
Maurice Bunau-Varilla war also eine kontroverse Persönlichkeit. In Le Pont, wo seine politische Linie nur allgemein bekannt war, unterhielt er mit dem Dorf ausschliesslich administrative Beziehungen. Er kaufte die bekannte Lampenfabrik und er arbeitete mit dem Unternehmer Jacques Fantoli aus Les Charbonnières am Unterhalt seines riesigen Gebäudes. Der lokalen Bevölkerung bot er nie seine Freundschaft an. Man kann jedoch davon ausgehen, dass er 1912 an der Finanzierung des zweiten Dampfschiffes beteiligt war, denn dieses erhielt den Namen Le Matin, Titel der Zeitung Bunau-Varillas.
Seinerzeit wäre es interessant gewesen, die Aussagen der Bevölkerung von Le Pont zu kennen, welche mit dieser reichen, französischen Familie zu tun gehabt hatte. Der Uhrmacher Roger Falquet erinnerte sich an die gemischte Meinung seiner Mutter, die als Wäscherin für die Familie gearbeitet hatte.
Im Vallée de Joux schrieb man Bunau-Varilla hinter vorgehaltener Hand seltsame Pläne zu. Er habe in dieser imposanten Struktur aus Beton und Metall Platz geschaffen, um zu gegebener Zeit Kanonen aufzustellen, welche auf das Fort des Rousses im benachbarten Frankreich hätten gerichtet werden sollen. Der örtliche Schriftsteller, Claude Berney hat diese Legende in einem bekannten Text wieder gegeben: Die Kanonen von Bunau-Varilla.
Das Herrenhaus Haute-Roche bleibt auf jeden Fall mysteriös und legendär.